Steinheil, Carl August von (12.10.1801-14.09.1870)
Steinheil, Carl August von
Deutscher Physiker, Astronom und Optiker
Biographie durch C. Schulte "Lexikon der Uhrmacherkunst" mit kleine erweiterungen.
Carl August von Steinheil wurde geboren am 12. Oktober 1801 zu Rappoltsweiler (Elsass) als Sohn des im Dienste des Pfalzgrafen Max Joseph stehenden General-Rentmeisters Carl Philipp Steinheil, welcher 1807 nach München übersiedelte. Nachdem der junge Steinheil das Lizeum in München besucht und das Reifezeugnis des Gymnasiums sich erworben hatte, bezog er 1821 die Universität Erlangen und studierte dann in Göttingen unter Karl Friedrich Gauss und in Königsberg (Pr.) unter Friedrich Wilhelm Bessel. Er war ein Pionier für Anwendungen der Elektrizität in praxisbezogenen Bereichen.
Schon seit 1827 gehörte Steinheil der bayerischen Akademie der Wissenschaften als Mitglied an. Infolge seiner wertvollen Untersuchungen auf dem Gebiete der Astronomie und Physik wurde Steinheil 1835 zum außerordentlichen und 1838 ordentlicher Professor der Mathematik und Physik an der Universität München und Konservator der dortigen mathematisch-physikalischen Sammlungen. 1837 ernannte ihn der König zum bayerischen Staatsrat. In diese Zeit fällt Steinheil's Erfindung des Schreibtelegraphen und (Juni 1838) die Entdeckung der Erdleitung.
1839 erhielt er in München ein Patent für die elektrische Steuerung von Nebenuhren durch eine (mechanische) Hauptuhr. Er konstruierte bei eine mechanische Hauptuhr ein vorrichtung wobei unter dem Pendel eine Kontakwippe angeordnet war. Diese Hauptuhr stand im pädagogischen Institut von München und sendete elektrische Signale zu einer Nebenuhr, die sich in der Sternwarte von Bogenhausen befand, etwa 2 Kilometer entfernt. Wenn das Pendel durch die Nulllage schwingt, stößt die Pendelspitze an eine Wippe, deren Kontaktstifte in ein darunter befindliches Quecksilberbad eintauchen. Durch die kluge Anordnung der Kontakte, erfunden durch den deutschen Mathematiker und Physiker Karl Friedrich Gauss, wurde bei jeder Schwingung die Richtung des elektrischen Stromes geändert, damit entgegengesetzte Signale zur Nebenuhr gesendet wurden. Die Nebenuhr war mit einem Dauermagnet und einer Spule versehen. Die Spule verschob den Magnet, der auf einem Anker befestigt war, der wiederum die Zeiger der Nebenuhr antrieb
Im Jahre 1849 erhielt Steinheil einen Ruf als Sektionsrat in das Kaiserliche Handelsministerium nach Wien, um dort die Organisation des österreichischen Telegraphenwesens zu übernehmen.
Ende 1851 ging er nach Bern, um im Auftrage des Bundesrats das Schweizerische Telegraphenwesen zu organisieren. Nach Vollendung seiner Missionen in Österreich und in der Schweiz siedelte Steinheil auf den Wunsch seines Landesherrn 1852 wieder nach München über, wo er sich für die Folgezeit vorzugsweise mit praktischer Optik und Instrumental-Astronomie beschäftigte. Aus der großen Zahl der von Steinheil konstruierten optischen und astronomischen Instrumente erwähnen wir nur seine Erfindung des Sphärometers, des Astrographs, des Okularheliometers und des Pyroskops.
Sein ebenso vielseitiges, als gediegenes Wissen überlieferte Steinheil der Mit- und Nachwelt in 150 gelehrten Abhandlungen. In den letzten Lebensjahren wurde ihm mit dem Zivilverdienstorden der persönliche Adel verliehen. Er starb, hochgeehrt von seinen Zeitgenossen, am 14. September 1870 in München. Sein Grabstein auf dem neuen Münchener Friedhofe trägt mit Bezug auf die Erfindung der elektrischen Telegraphie die sinnige Inschrift: "Dedit alas cogitatis": "Dem Gedanken verlieh er Flügel".
Die Verdienste, welche Steinheil durch die Konstruktion seines Telegraphen und die Anwendung der Erdleitung um die Telegraphie sich erworben hat, sind so hervorragend, dass man ihm die Ehre der Erfindung des elektrischen Telegraphen wird zuschreiben müssen. Die Anregung zur Forschung auf dem Gebiete der Elektrizität und des Magnetismus erhielt Steinheil gelegentlich einer Studienreise nach Göttingen durch Gauss, welcher ihn aufforderte, den von Gauss und Weber hauptsächlich zu astronomischen Zwecken benutzten, für praktische Telegraphie jedoch unhandlichen Telegraphen den technischen Anforderungen anzupassen. Steinheil's Bestreben richtete sich vor Allem darauf, die ankommenden telegraphischen Zeichen dem Ohre wahrnehmbar und, was bis dahin noch niemand hatte gelingen wollen, in bleibender Gestalt hervorzubringen.
Diese Aufgabe löste Steinheil vollkommen. Die mittels eines Magnetinduktors erzeugten Ablenkungen zweier in einem Multiplikatorrahmen horizontal schwingenden Magnetstäbe ließ er auf zwei verschieden tönende Glocken wirken. Die Höhe und Folge dieser Töne bildete die Zeichensprache; anderseits diente diese Vorrichtung dazu, den Beginn des Telegraphierens anzuzeigen. Bleibende Schrift erzielte Steinheil mit seinem Drucktelegraphen in der Weise, dass er an die Enden der Magnetstäbe in Näpfchen mit schwarzer Ölfarbe tauchende Kapillarröhrchen anbrachte, welche bei Ablenkung der Magnete auf einen mittels Uhrwerks in Bewegung gesetzten Papierstreifen zwei Reihen Punkte aufzeichneten. Die Telegraphenanlage, bei welcher Steinheil seinen vom Jahre 1837 bis zum Schlusse des fünften Jahrzehnts in Tätigkeit gewesenen Telegraphen anwendete, besaß vier Stationen; von der Akademie in München nach der Königlichen Sternwarte in Bogenhausen (5 km), nach seiner Privatsternwarte in der Lerchenstraße (0,9 km) und nach der physikalischen Werkstätte im Akademiegebäude (0,1 km). Jede Leitung bestand aus einer Hin- und einer Rückleitung, welche in Abständen von 1 bis 3 m mit zum Teil sehr weiten Spannungen über hohe Gebäude und Kirchen hinweggeführt waren.
Steinheil war unablässig bemüht, den Telegraphen zu vereinfachen. Dass Wasser und feuchtes Erdreich die Fähigkeit haben, Reibungselektrizität zu leiten, war nach den Versuchen von Professor Winkler in Leipzig (1746) und Le Monnier in Paris (1747) kein Geheimnis mehr. Für galvanische Elektrizität wurde dieselbe Eigenschaft 1803 durch die Experimente von Basse in Hameln und von Professor Ermann in Berlin nachgewiesen. Auch Sömmering und Baron Schilling, welche beide mit Erfolg die Herstellung elektrischer Telegraphen betrieben, stellten 1811 in München ähnliche Versuche, wie die vorgenannten, mit demselben Ergebnis an, ohne indes an eine Ausnutzung der bezeichneten Fähigkeit der Elektrizität für die Telegraphie zu denken; erst Steinheil war es vorbehalten, jenen scheinbar so nahe liegenden Gedanken zu erfassen und zu würdigen. Wiederum war es Gauss, der, freilich unbewusst, den zur Entdeckung der "Erdleitung" führenden Weg zeigte. Gauss hatte nämlich die Vermutung ausgesprochen, dass vielleicht die beiden Schienen eines Eisenbahngleises statt der beiden Metalldrähte als Leitung zu benutzen seien.
Um hierüber durch einen praktischen Versuch Gewissheit zu erlangen, schaltete Steinheil die beiden Schienen der Eisenbahnlinie Nürnberg-Fürth als Hin- und Rückleitung für den Induktionsstrom seines Apparates ein. Die Schienen erwiesen sich, trotz der geteerten Zwischenlagen, keineswegs vom Boden isoliert; kein Induktionsstrom wirkte über 30 Schienenlängen hinaus. Selbst eine besonders sorgfältig gebaute Probestrecke einer neuen Bahn ließ die Unmöglichkeit der Fortleitung des Stromes auf weitere Entfernungen mittels der Schienen erkennen. Es wurde jedoch beobachtet, wie der Strom von dem einen Gleis zum anderen überging, ohne dass der Stromkreis geschlossen war, was nur durch den Boden geschehen konnte. Steinheil, der Ursache dieser Erscheinung nachgehend, kam hierbei auf den Gedanken, die Schienen selbst als Leiter, wenigstens als Rückleiter für den Strom einzuschalten und zu diesem Zweck eine oberirdische, auf Stangen gespannte Drahtleitung dem einen Schienengleis entlang zu führen. Das Zeichengeben gelang, aber auch nach Herausnahme einzelner Schienen arbeitete der Telegraph mit derselben überraschenden Sicherheit.
Dies genügte, Steinheil hatte erkannt, dass es eines zweiten Drahtes zur Rückleitung des Stromes nicht bedurfte, dass vielmehr der Rückleitungsdraht durch Einschaltung der Erde in den Stromkreis vollständig ersetzt wurde. Der Versuch, den Steinheil alsbald an seiner Münchener Telegraphenanlage anstellte, indem er an die beiden Enden eines einfachen Leitungsdrahtes, in welchen die Apparate eingeschaltet waren, Kupferbleche von 0,8 qm Oberfläche anlötete und in den Erdboden vergrub, bestätigte die Richtigkeit seiner Annahme. Diese Entdeckung Steinheil's, welche seinerzeit vielen als eine Täuschung und selbst Physikern zuerst nicht glaublich erschien, stellt den Beginn des bedeutungsvollsten Abschnitts in dem Entwickelungsgange der elektrischen Telegraphie dar. Denn erst das Telegraphieren mit nur einem Draht unter Benutzung der Erdleitung hat die Lebensfähigkeit des Telegraphenwesens begründet und zur Anlegung und Ertrags¬fähigkeit ausgedehnter Telegraphenanlagen die Möglichkeit geboten.
Literatur
- Lexikon der Uhrmacherkunst, Carl Schulte: Emil Hübners Verlag Bautzen 1902