Baron, Eberhard
Baron, Eberhard
Glashütter Feinmechaniker und Ingenieur
Eberhard Baron wurde am 21. April 1937 in Wangern, Kreis Breslau, als Sohn des Volksschullehrers Erich Baron geboren. Das erste Nachkriegsjahr führte den damals Neunjährigen, seine Eltern und Geschister über die damals zum Umsiedlerlager umfunktionierte ehemalige Kaserne in Pirna (Sachsen), Rottwerndofer Straße, sowie über Unterlöwenhain (Kreis Dippoldiswalde) nach Glashütte. Dort absolvierte er vom 15. September 1951 bis zum 28. Februar 1954 eine Berufsausbildung zum Feinmechaniker im VVB Mechanik Lehrkombinat Makarenko und arbeitete bis 1957 als Feinmechaniker im VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB).
Später folgte ein Studium zum Ingenieur (Ing.) der Fachrichtung Feinwerktechnik an der Ingenieurschule für Feinwerktechnik Glashütte/Sa., ein Fernstudium zum Fachschullehrer an der Karl-Marx-Universität Leipzig und ein Abendstudium zum Diplomingenieur (Dipl.-Ing.) des Maschinenbaus (Fachrichtung Umformtechnik) an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt.
Im August 1960 war Eberhard Baron als Werkzeugmacher im VEB Archimedes Rechenmaschinenfabrik Glashütte tätig.
Auszug aus dem Lebensbericht von Eberhard Baron
(Dieser Auszug ist urheberrechtlich geschützt und wurde von Herrn Baron für Watch-Wiki auszugsweise zur Veröffentlichung freigegeben)
Ich werde Feinmechaniker
Mit dem Ende der achten Klasse verließ ich die Schule, denn bei meinen Zensuren war an den Besuch der Oberschule in Altenberg nicht zu denken: Deutsch, Geschichte mit Gegenwartskunde, Erdkunde, Rechnen mit Arithmetik, Algebra und Geometrie Note zwei, der Rest, Russisch, Biologie, Physik, Chemie, Handschrift, Körperliche Erziehung, Zeichnen, Note drei. Fleiß und Mitarbeit waren gut, Betragen sogar sehr gut. Die Besten der Klasse erfüllten bis auf eine Ausnahme nicht die Voraussetzungen zum Besuch der Oberschule, weil sie aus bürgerlichen Familien entstammten. Erst nach massiver Intervention der Eltern und wohl auch mit Unterstützung einiger Lehrer und des Direktors gelang es vier oder fünf doch noch.
Ich sollte einen Facharbeiterberuf erlernen, was in Glashütte, einem kleinen Ort
mit traditioneller Metallverarbeitung und insbesondere Feinmechanik und Uhrenproduktion,
vorrangig ein Metallberuf war. Die VVB Mechanik , zu der der VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) gehörte, hatte in Glashütte das Lehrkombinat
“Makarenko“? gegründet. Das waren praktische Ausbildung und Berufsschule unter einem Dach, Internat für auswärtige Lehrlinge eingeschlossen. Direktor
Hofmann teilte meiner Mutter mit, dass sie mich nicht annehmen würden, weil
mein Vater ehemaliger NSDAP-Angehöriger sei. Das hat sie nicht hingenommen
und erfolgreich gegen diese Entscheidung interveniert. Also begann ich meine
Lehre am 15. September 1951mit zwei Wochen Verspätung. Das Lehrkombinat
lag fast am Ende von Glashütte, Müglitztal aufwärts. Jeden Tag musste ich nun
den langen Weg laufen: Vom Folgenhang zur Emil-Lange-Straße, das ist fast bis
zum Bahnhof, die nach einigen hundert Metern in die Müglitztalstraße mündet.
Hier wurde übrigens später die Poliklinik gebaut, in der alle wichtigen Ärzte
vereinigt waren. Wenn man sich dort anmeldete, wollte die Schwester immer
wissen, was einem fehlt. Das war für manche Patienten, besonders Frauen, ziemlich
peinlich. Als ich schon etwas älter war, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen
und antwortete, dass ich das schon nachher dem Arzt sagen werde. Damit
war sie auch zufrieden.
Dann zog sich der Weg auf der Müglitztalstraße hin, vorbei an der PAKA (VEB Pappen- und Kartonagenfabrik), die rechter Hand gleich an der Straße einen ihrer Lagerschuppen hatte, aus dem man leicht Mappen klauen konnte. Dann endlich hatte man es geschafft und konnte durch das Tor, das - wie alle Betriebe in dieser Zeit - von einem Pförtner bewacht wurde. Hatte man sich mit dem Betriebsausweis legitimiert, ging man noch ein Stück über den Hof und betrat das eigentliche Lehrgebäude mit der großen Lehrwerkstatt im ersten Stock. Dort befanden sich die Bereiche für die Grundausbildung, die Maschinenausbildung und Spezialbereiche wie Werkzeugausgabe und Meisterbereich. Im Keller befand sich eine Schmiede, in der jeder im zweiten Lehrjahr eine Woche lang bei Meister Arthur Rehn arbeiten musste. Wir waren eingeteilt in Gruppen zu etwa 12 Lehrlingen, genannt Lernaktive. Unter den Lehrlingen war ein Mädchenanteil von vielleicht 20 Prozent. Der Tag begann fast immer mit einer Unterweisung. Sie hielt für alle ab Obermeister Willi Laubner, ein ziemlich poltriger Mann in den Fünfziger, ein sehr guter Fachmann, Respekt einflößend, gerecht, nicht nachtragend, der sehr auf Ordnung und Disziplin bedacht und bei uns allen beliebt war. Themen waren Arbeitsschutzbelehrungen, besondere Vorkommnisse oder politisch herausragende Ereignisse. Letztere waren in der DDR zu jeder Zeit häufig. Tagungen des Zentralkomitees der SED, Parteitage, Adolf Hennecke- Bewegung , Frieda-Hockauf-Bewegung , usw. usf. (Adolf Hennecke, 1905-1975, wurde 1948 von der sowjetischen Militäradministration dafür ausgewählt, die sowjetische Stachanow-Bewegung in der DDR einzuführen. Damit sollten Spitzenleistungen organisiert werden, die Grundlage für höhere Arbeitsnormen bildeten, Aktivistenbewegung - Frieda Hockauf, 1903-? sollte 1953 die Konsumgüterproduktion intensivieren (“Wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“?), Übernahme von Einzel- und Kollektivverpflichtungen).
Wenn es nur um Fragen des Lernaktivs ging, hatten wir es mit dem Ausbilder zu tun, der uns auch den ganzen Tag begleitete und uns in die einzelnen Arbeitsschritte einwies. Hier wurden aber auch Einzelheiten des Lernkollektivs, Verpflichtungen zu Bestleistungen usw. besprochen. Von den Namen der Lehrmeister ist mir noch Herr Kocareck in Erinnerung, dessen jüngerer Bruder Helfried mit in unserem Lernaktiv war und mit dem ich mich gut verstand.
Nachdem die Begrüßungsformalitäten und ersten Einweisungen überstanden waren, begann der Ernst der Ausbildung. Wie es sich für einen Metallberuf gehört, mit dem Erlernen des Feilens. Dazu erhielten wir ein Stück Flachstahl von etwa 15 mm Dicke und Abmessungen, die gerade so in den Schraubstock passten. Die Platte war überdies stark verzundert , und wir mussten zuerst mit dem Rist der Feile, das ist ihre Schmalseite, diese Schicht erntfernen (Zunder ist der Rückstand vom Warmwalzen des Stahls auf der Oberfläche). Das war für uns 14-jährige außerordentlich Kräfte zehrend, einige brauchten immerhin noch einen Untersatz unter die Füße, damit sie auf die richtige Höhe kamen. Jede Pause war willkommen, und heimlich schielten wir zur Uhr, ob nicht bald Feierabend sei. Die Ausbilder waren aber ständig präsent und spornten uns unentwegt an. Ungeschickten halfen sie oder wiesen darauf hin, dass man z.B. blanke Flächen nicht mit der Hand abwischt, weil dann das Feilen wiederum schwer fällt. Gleich am zweiten Tag brach an meinem Schraubstock die Schwalbenschwanzführung, weil ich mich beim Festziehen der Platte mit meinem ganzen Körpergewicht auf den Hebel gehängt hatte. Das verursachte einiges Aufsehen, weil so ein Schraubstock nicht nur teuer, sondern vor allem ein rarer Artikel war. Der Ausbilder prüfte sogar meinen Bizeps und meinte verwundert: “So stark bist du doch gar nicht“?. Sanktionen gab es nicht.
Anfangs hatten wir an drei Tagen der Woche in der Baracke des Lehrkombinats berufstheoretischen Unterricht. Es gab die Fächer wie bisher, also Deutsch, Mathematik und andere, aber auch berufsbildende Fächer wie Fachkunde, Fachzeichnen und Fachrechnen. Zunehmend machte mir die Berufsschule Freude, und ich lernte immer besser. Wohl auch, weil mir die ganze Lehre, nachdem das praktische Arbeiten abwechslungsreich wurde, immer mehr Spaß bereitete. Ich merkte, dass ich in Unterweisungen schnell begriff, räumliches Denken entwickelte, was unter anderem beim Lesen von technischen Zeichnungen von Nutzen ist. Auch das Arbeiten an den Maschinen, das besonders im zweiten Lehrjahr dominierte, machte großen Spaß. Wir lernten alles kennen, was ein Feinmechaniker wissen muss. Präzision war das A und O der Ausbildung. Neben dem Drehen, Fräsen, Hobeln, Gewinde Schneiden von Hand und an der Maschine, lernten wir Schleifen, Schaben und Reiben. Beim Schleifen waren das: Rundschleifen innen und außen und Flachschleifen. Geschabt werden Flächen, die besonders eben sein müssen. Dazu benutzt man eine vollkommen flache Platte, die Tuschierplatte, auf der blaue Paste dünn aufgetragen wird. Dann reibt man vorsichtig das Werkstück auf der Tuschierplatte. An den erhabenen Stellen bleibt die Paste hängen, und man sieht die Stellen, die noch mit einem Dreikant- oder Flachschaber zu bearbeiten sind. Fertig ist die Fläche erst dann, wenn sie nicht nur gleichmäßig eben, sondern die Bearbeitungsspuren schön wie ein Parkettmuster im Seitenlicht schimmern. Das alles dauert natürlich seine Zeit. Entsprechend wurde auch der Umgang mit den Meß- und Prüfmitteln geübt. Jeder Lehrling hatte seine Standardausstattung mit der Schieblehre, Feilen und anderem. Für bestimmte Arbeiten musste man in der Werkzeugausgabe, die von Lehrlingen abwechselnd besetzt war, entsprechendes holen: Mikrometer, Lehren, Parallelendmaße usw. Dafür hatte jeder 10 runde Blechmarken, auf denen die Nummer des Lehrlings eingeschlagen war, bei mir die 25, die an die Stelle des ausgeliehenen Teiles, es konnten auch Spannmittel und anders sein, gehängt wurde. Im ersten Lehrjahr hatten wir einen Feilenreiniger gefeilt. Der Ausbilder sammelte sie ein und bewertete sie in diesem Fall vor unseren Augen. Er saß an seinem Schreibtisch, hatte eine Lupe am Auge. Wir “hingen“? ihm im Rücken. Einen Feilenreiniger nach dem anderen begutachtete er und kommentierte Gutes und Mängel. Als er den mit der Nummer 25, also meinen, in der Hand hielt, lobte er die Bearbeitung der flach zulaufenden Fläche mit dem Hammer, kritisierte aber, dass der Grat nicht entfernt worden war. Ich antwortete: “Das hat uns aber kein Schwanz gesagt“?! Darauf der Ausbilder: “Sind wir Schwänze?“? Alles lachte, ich bekam einen roten Kopf und entschuldigte mich. Damit war die Sache erledigt.