Beschreibung der dritten Straßburger Münster-Uhr (4): Unterschied zwischen den Versionen

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''"Lexikon der Uhrmacherkunst" - Carl Schulte. (Teil 4)''
 
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Der Mond durchläuft seine Bahn in einer mittleren Periode von 27 Tagen 7 Stunden 43', 11", 5, was man seinen sideralen Umlauf nennt, weil während dieser Zeit die Sonne mit ihrer eigenen scheinbaren Bewegung in gleicher Richtung wie der Mond auf der Ekliptik vorgerückt ist, so folgt daraus, dass der Mond, um dieselbe einzuholen und den Punkt seines Neulichts zu erreichen nebst seinem ganzen Lauf um die Himmelssphäre noch den Überschuss des von der Sonne beschriebenen Bogens zurücklegen muss. Daher erfordert ihr Lauf von einem Neulicht zum andern mehr Zeit, als ihre siderale Umwälzung. In der Tat ist die mittlere Dauer ersterer von 29 Tagen 12 Stunden 44', 2", 8. Diese Revolution nennt man die synodische, jene nämlich, die erfordert wird, um den Mond wieder in Zusammenkunft mit der Sonne zu bringen. Über den Mondphasen bemerkt man eine lateinische Inschrift, die im Deutschen also lautet: "Was ist wohl gleich der Morgenröte, schön wie der Mond und glänzend wie die Sonne'?" Zu beiden Seiten dieser Inschrift ist ein Gemälde, wovon das eine die christliche Kirche in Gestalt eines Weibes darstellt mit der Überschrift: Ecclesia Christi exulans. Das andere stellt den Antichrist unter dem Bilde eines siebenköpfigen Drachen dar, mit der Aufschrift: Serpens antiquus Antichristus. Beinahe in gleicher Höhe sind die Jahreszahlen MDCCCXXXVIII und MDCCCXLII angebracht. Die erste bezeichnet das Jahr, in welchem die mechanischen Arbeiten angefangen haben, die zweite das Jahr, in welchem die Uhr zum ersten Mal in Gang gebracht wurde. Zu jeder Seite des über diesem Gemälde befindlichen Vorsprungs sieht man, in Stein gehauen, zur Rechten einen Greifgeier und zur Linken ein phantastisches Tier, halb Löwe, halb Bär, das in seinen Klauen ein Wappen hält.
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Nun sind wir bei den beweglichen Statuen, welche ganz besonders die Aufmerksamkeit der Volksmenge auf sich ziehen, angelangt. Diese Figuren erscheinen in einem gotisch verzierten Doppelraume, dessen unterer den vier Lebensaltern und dem Tode, welche die Viertel und die Stunden schlagen, gewidmet ist. Vier Statuen mit natürlicher Bewegung kommen, jede an ihrer Reihe, zum Vorschein, um die jedesmaligen Viertel zu wiederholen, da der erste Streich von dem auf der Löwengalerie befindlichen Genius mit dem Zepter angeschlagen wird. Den Zug eröffnet das Kind, welches vermittels eines Thyrsus, den es auf ein Glöckchen fallen lässt, das erste Viertel angibt; ihm folgt der Jüngling in Gestalt eines Jägers, der mit seinem Pfeil die halbe Stunde schlägt; hierauf erscheint der Mann als gehar¬nischter Krieger und lässt mit seinem Schwert die drei Viertel hören; endlich, kurz ehe die Stunde schlägt, tritt mit langsamem Schritte ein Greis heraus, der, in seinen Mantel eingehüllt und mit schon gebeugtem Haupte sich auf die Krücke stützt, mit welcher er die vier Viertel ertönen lässt. Eine jede dieser 4 Figuren erscheint bloß am Tage, indem sie die Nacht durch ruht; so oft eine jede heraustritt, macht sie zwei Schritte, um sich dem Glöckchen zu nähern, das auf der linken Seite des Todes hängt; allda angelangt bleibt dieselbe solange stehen, als nötig ist, um die erforderlichen Streiche zu schlagen, worauf sie dann vorüberzieht und auf der andern Seite verschwindet.
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In der Mitte dieses untern gotischen Raumes erhebt sich auf einem Gestelle das Bild des Todes; beim Beginnen einer jeden Stunde lässt das Skelett den Knochen, den es in der Hand hält, in langsamem ernsten Takte auf eine Glocke fallen. Unermüdet harrt der Tod auf seiner Stelle, Tag und Nacht schlägt er die für uns flüchtigen Stunden und rastet nie. In dem obern noch reichlicher geschmückten Raum tront das Bild unseres Erlösers. In der Mitte sich erhebend, hält Christus in der Linken das Siegesbanner, indem er die Rechte zum Segnen erhebt. Täglich zur Mittagsstunde, während der letzte Glockenschlag verhallt, ziehen die zwölf Jünger, die der Herr zu seinen Aposteln berufen, vor dem göttlichen Meister vorüber. Alle tragen das Werkzeug des erlittenen Märtyrertodes oder das sonst sich auf sie beziehende Sinnbild. In tiefer Ehrfurcht treten die 12 hervor, wenden sich gegen den Erlöser, neigen das Haupt zum Zeichen der Verehrung und gehen auf der entgegengesetzten Seite ab, nachdem der Herr über jeden segnend die Hand erhoben. Wenn nun alle Apostel verschwunden sind, gibt Christus auch den versammelten Zuschauern den priesterlichen Segen. Obschon unter dem Volke die Sage sich einigermaßen verbreitet hatte, als wären die Figuren der Apostel in der alten Uhr schon angebracht gewesen, so müssen wir diese Behauptung zurückweisen, da in dem ganzen Werke des Dasypodius auch nicht die geringste Spur davon vorhanden war. Statt dieser schönen Szene sah man bloß Christus dem Tode gegenüber stehen, vor welchem bei jeglichem Glockenschlage der Sohn Gottes weichen musste.
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Während die Apostel vorüberziehen, lässt der auf einem Nebentürmchen befindliche Hahn seinen Siegesschrei ertönen; zuvor aber noch schwingt er die Flügel, bewegt Kopf und Schweif, sein Hals bläht sich auf, um den Schall herauszubringen. Dieser Hahn ist ganz der Natur gemäß verfertigt worden; hinsichtlich seiner Größe ist er vollkommen jenem ähnlich, welcher in beiden früheren Uhren schon angebracht war. Täglich zur Mittagsstunde kräht er dreimal und erinnert so an die Schuld des Jüngers, welcher dreimal seinen Herrn verleugnete. Die Kuppel, die das ganze Gebäude der Uhr krönt, ist ebenso merkwürdig durch den Geschmack ihrer Formen, als durch die Pracht ihrer Verzierungen. In dem Mittelpunkte dieses Domes erhebt sich die Statue des Propheten Jesaias, das Werk des berühmten Bildhauers Gras. Um den Propheten reihen sich die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, von den verschiedenen Tieren, die man ihnen als Attribute zuerkennt, begleitet. Etwas höher befinden sich vier Seraphim, welche auf verschiedenen Instrumenten das Lob Gottes preisen. Ganz oben endlich steht der Herolde der Steinmetzzunft des Münsters mit dem Wappen des Frauenhauses in der Hand.
  
 
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== Weiterführende Informationen ==
 
== Weiterführende Informationen ==

Version vom 29. April 2010, 21:00 Uhr

Die dritte Straßburger Münster-Uhr


"Lexikon der Uhrmacherkunst" - Carl Schulte. (Teil 4)


Der Mond durchläuft seine Bahn in einer mittleren Periode von 27 Tagen 7 Stunden 43', 11", 5, was man seinen sideralen Umlauf nennt, weil während dieser Zeit die Sonne mit ihrer eigenen scheinbaren Bewegung in gleicher Richtung wie der Mond auf der Ekliptik vorgerückt ist, so folgt daraus, dass der Mond, um dieselbe einzuholen und den Punkt seines Neulichts zu erreichen nebst seinem ganzen Lauf um die Himmelssphäre noch den Überschuss des von der Sonne beschriebenen Bogens zurücklegen muss. Daher erfordert ihr Lauf von einem Neulicht zum andern mehr Zeit, als ihre siderale Umwälzung. In der Tat ist die mittlere Dauer ersterer von 29 Tagen 12 Stunden 44', 2", 8. Diese Revolution nennt man die synodische, jene nämlich, die erfordert wird, um den Mond wieder in Zusammenkunft mit der Sonne zu bringen. Über den Mondphasen bemerkt man eine lateinische Inschrift, die im Deutschen also lautet: "Was ist wohl gleich der Morgenröte, schön wie der Mond und glänzend wie die Sonne'?" Zu beiden Seiten dieser Inschrift ist ein Gemälde, wovon das eine die christliche Kirche in Gestalt eines Weibes darstellt mit der Überschrift: Ecclesia Christi exulans. Das andere stellt den Antichrist unter dem Bilde eines siebenköpfigen Drachen dar, mit der Aufschrift: Serpens antiquus Antichristus. Beinahe in gleicher Höhe sind die Jahreszahlen MDCCCXXXVIII und MDCCCXLII angebracht. Die erste bezeichnet das Jahr, in welchem die mechanischen Arbeiten angefangen haben, die zweite das Jahr, in welchem die Uhr zum ersten Mal in Gang gebracht wurde. Zu jeder Seite des über diesem Gemälde befindlichen Vorsprungs sieht man, in Stein gehauen, zur Rechten einen Greifgeier und zur Linken ein phantastisches Tier, halb Löwe, halb Bär, das in seinen Klauen ein Wappen hält.

Nun sind wir bei den beweglichen Statuen, welche ganz besonders die Aufmerksamkeit der Volksmenge auf sich ziehen, angelangt. Diese Figuren erscheinen in einem gotisch verzierten Doppelraume, dessen unterer den vier Lebensaltern und dem Tode, welche die Viertel und die Stunden schlagen, gewidmet ist. Vier Statuen mit natürlicher Bewegung kommen, jede an ihrer Reihe, zum Vorschein, um die jedesmaligen Viertel zu wiederholen, da der erste Streich von dem auf der Löwengalerie befindlichen Genius mit dem Zepter angeschlagen wird. Den Zug eröffnet das Kind, welches vermittels eines Thyrsus, den es auf ein Glöckchen fallen lässt, das erste Viertel angibt; ihm folgt der Jüngling in Gestalt eines Jägers, der mit seinem Pfeil die halbe Stunde schlägt; hierauf erscheint der Mann als gehar¬nischter Krieger und lässt mit seinem Schwert die drei Viertel hören; endlich, kurz ehe die Stunde schlägt, tritt mit langsamem Schritte ein Greis heraus, der, in seinen Mantel eingehüllt und mit schon gebeugtem Haupte sich auf die Krücke stützt, mit welcher er die vier Viertel ertönen lässt. Eine jede dieser 4 Figuren erscheint bloß am Tage, indem sie die Nacht durch ruht; so oft eine jede heraustritt, macht sie zwei Schritte, um sich dem Glöckchen zu nähern, das auf der linken Seite des Todes hängt; allda angelangt bleibt dieselbe solange stehen, als nötig ist, um die erforderlichen Streiche zu schlagen, worauf sie dann vorüberzieht und auf der andern Seite verschwindet.

In der Mitte dieses untern gotischen Raumes erhebt sich auf einem Gestelle das Bild des Todes; beim Beginnen einer jeden Stunde lässt das Skelett den Knochen, den es in der Hand hält, in langsamem ernsten Takte auf eine Glocke fallen. Unermüdet harrt der Tod auf seiner Stelle, Tag und Nacht schlägt er die für uns flüchtigen Stunden und rastet nie. In dem obern noch reichlicher geschmückten Raum tront das Bild unseres Erlösers. In der Mitte sich erhebend, hält Christus in der Linken das Siegesbanner, indem er die Rechte zum Segnen erhebt. Täglich zur Mittagsstunde, während der letzte Glockenschlag verhallt, ziehen die zwölf Jünger, die der Herr zu seinen Aposteln berufen, vor dem göttlichen Meister vorüber. Alle tragen das Werkzeug des erlittenen Märtyrertodes oder das sonst sich auf sie beziehende Sinnbild. In tiefer Ehrfurcht treten die 12 hervor, wenden sich gegen den Erlöser, neigen das Haupt zum Zeichen der Verehrung und gehen auf der entgegengesetzten Seite ab, nachdem der Herr über jeden segnend die Hand erhoben. Wenn nun alle Apostel verschwunden sind, gibt Christus auch den versammelten Zuschauern den priesterlichen Segen. Obschon unter dem Volke die Sage sich einigermaßen verbreitet hatte, als wären die Figuren der Apostel in der alten Uhr schon angebracht gewesen, so müssen wir diese Behauptung zurückweisen, da in dem ganzen Werke des Dasypodius auch nicht die geringste Spur davon vorhanden war. Statt dieser schönen Szene sah man bloß Christus dem Tode gegenüber stehen, vor welchem bei jeglichem Glockenschlage der Sohn Gottes weichen musste.

Während die Apostel vorüberziehen, lässt der auf einem Nebentürmchen befindliche Hahn seinen Siegesschrei ertönen; zuvor aber noch schwingt er die Flügel, bewegt Kopf und Schweif, sein Hals bläht sich auf, um den Schall herauszubringen. Dieser Hahn ist ganz der Natur gemäß verfertigt worden; hinsichtlich seiner Größe ist er vollkommen jenem ähnlich, welcher in beiden früheren Uhren schon angebracht war. Täglich zur Mittagsstunde kräht er dreimal und erinnert so an die Schuld des Jüngers, welcher dreimal seinen Herrn verleugnete. Die Kuppel, die das ganze Gebäude der Uhr krönt, ist ebenso merkwürdig durch den Geschmack ihrer Formen, als durch die Pracht ihrer Verzierungen. In dem Mittelpunkte dieses Domes erhebt sich die Statue des Propheten Jesaias, das Werk des berühmten Bildhauers Gras. Um den Propheten reihen sich die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, von den verschiedenen Tieren, die man ihnen als Attribute zuerkennt, begleitet. Etwas höher befinden sich vier Seraphim, welche auf verschiedenen Instrumenten das Lob Gottes preisen. Ganz oben endlich steht der Herolde der Steinmetzzunft des Münsters mit dem Wappen des Frauenhauses in der Hand.

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Weiterführende Informationen

Literatur