Beschreibung der dritten Straßburger Münster-Uhr (4): Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 29. April 2010, 21:23 Uhr
Die dritte Straßburger Münster-Uhr
"Lexikon der Uhrmacherkunst" - Carl Schulte. (Teil 4)
Der Mond durchläuft seine Bahn in einer mittleren Periode von 27 Tagen 7 Stunden 43', 11", 5, was man seinen sideralen Umlauf nennt, weil während dieser Zeit die Sonne mit ihrer eigenen scheinbaren Bewegung in gleicher Richtung wie der Mond auf der Ekliptik vorgerückt ist, so folgt daraus, dass der Mond, um dieselbe einzuholen und den Punkt seines Neulichts zu erreichen nebst seinem ganzen Lauf um die Himmelssphäre noch den Überschuss des von der Sonne beschriebenen Bogens zurücklegen muss. Daher erfordert ihr Lauf von einem Neulicht zum andern mehr Zeit, als ihre siderale Umwälzung. In der Tat ist die mittlere Dauer ersterer von 29 Tagen 12 Stunden 44', 2", 8. Diese Revolution nennt man die synodische, jene nämlich, die erfordert wird, um den Mond wieder in Zusammenkunft mit der Sonne zu bringen. Über den Mondphasen bemerkt man eine lateinische Inschrift, die im Deutschen also lautet: "Was ist wohl gleich der Morgenröte, schön wie der Mond und glänzend wie die Sonne'?" Zu beiden Seiten dieser Inschrift ist ein Gemälde, wovon das eine die christliche Kirche in Gestalt eines Weibes darstellt mit der Überschrift: Ecclesia Christi exulans. Das andere stellt den Antichrist unter dem Bilde eines siebenköpfigen Drachen dar, mit der Aufschrift: Serpens antiquus Antichristus. Beinahe in gleicher Höhe sind die Jahreszahlen MDCCCXXXVIII und MDCCCXLII angebracht. Die erste bezeichnet das Jahr, in welchem die mechanischen Arbeiten angefangen haben, die zweite das Jahr, in welchem die Uhr zum ersten Mal in Gang gebracht wurde. Zu jeder Seite des über diesem Gemälde befindlichen Vorsprungs sieht man, in Stein gehauen, zur Rechten einen Greifgeier und zur Linken ein phantastisches Tier, halb Löwe, halb Bär, das in seinen Klauen ein Wappen hält.
Nun sind wir bei den beweglichen Statuen, welche ganz besonders die Aufmerksamkeit der Volksmenge auf sich ziehen, angelangt. Diese Figuren erscheinen in einem gotisch verzierten Doppelraume, dessen unterer den vier Lebensaltern und dem Tode, welche die Viertel und die Stunden schlagen, gewidmet ist. Vier Statuen mit natürlicher Bewegung kommen, jede an ihrer Reihe, zum Vorschein, um die jedesmaligen Viertel zu wiederholen, da der erste Streich von dem auf der Löwengalerie befindlichen Genius mit dem Zepter angeschlagen wird. Den Zug eröffnet das Kind, welches vermittels eines Thyrsus, den es auf ein Glöckchen fallen lässt, das erste Viertel angibt; ihm folgt der Jüngling in Gestalt eines Jägers, der mit seinem Pfeil die halbe Stunde schlägt; hierauf erscheint der Mann als gehar¬nischter Krieger und lässt mit seinem Schwert die drei Viertel hören; endlich, kurz ehe die Stunde schlägt, tritt mit langsamem Schritte ein Greis heraus, der, in seinen Mantel eingehüllt und mit schon gebeugtem Haupte sich auf die Krücke stützt, mit welcher er die vier Viertel ertönen lässt. Eine jede dieser 4 Figuren erscheint bloß am Tage, indem sie die Nacht durch ruht; so oft eine jede heraustritt, macht sie zwei Schritte, um sich dem Glöckchen zu nähern, das auf der linken Seite des Todes hängt; allda angelangt bleibt dieselbe solange stehen, als nötig ist, um die erforderlichen Streiche zu schlagen, worauf sie dann vorüberzieht und auf der andern Seite verschwindet.
In der Mitte dieses untern gotischen Raumes erhebt sich auf einem Gestelle das Bild des Todes; beim Beginnen einer jeden Stunde lässt das Skelett den Knochen, den es in der Hand hält, in langsamem ernsten Takte auf eine Glocke fallen. Unermüdet harrt der Tod auf seiner Stelle, Tag und Nacht schlägt er die für uns flüchtigen Stunden und rastet nie. In dem obern noch reichlicher geschmückten Raum tront das Bild unseres Erlösers. In der Mitte sich erhebend, hält Christus in der Linken das Siegesbanner, indem er die Rechte zum Segnen erhebt. Täglich zur Mittagsstunde, während der letzte Glockenschlag verhallt, ziehen die zwölf Jünger, die der Herr zu seinen Aposteln berufen, vor dem göttlichen Meister vorüber. Alle tragen das Werkzeug des erlittenen Märtyrertodes oder das sonst sich auf sie beziehende Sinnbild. In tiefer Ehrfurcht treten die 12 hervor, wenden sich gegen den Erlöser, neigen das Haupt zum Zeichen der Verehrung und gehen auf der entgegengesetzten Seite ab, nachdem der Herr über jeden segnend die Hand erhoben. Wenn nun alle Apostel verschwunden sind, gibt Christus auch den versammelten Zuschauern den priesterlichen Segen. Obschon unter dem Volke die Sage sich einigermaßen verbreitet hatte, als wären die Figuren der Apostel in der alten Uhr schon angebracht gewesen, so müssen wir diese Behauptung zurückweisen, da in dem ganzen Werke des Dasypodius auch nicht die geringste Spur davon vorhanden war. Statt dieser schönen Szene sah man bloß Christus dem Tode gegenüber stehen, vor welchem bei jeglichem Glockenschlage der Sohn Gottes weichen musste.
Während die Apostel vorüberziehen, lässt der auf einem Nebentürmchen befindliche Hahn seinen Siegesschrei ertönen; zuvor aber noch schwingt er die Flügel, bewegt Kopf und Schweif, sein Hals bläht sich auf, um den Schall herauszubringen. Dieser Hahn ist ganz der Natur gemäß verfertigt worden; hinsichtlich seiner Größe ist er vollkommen jenem ähnlich, welcher in beiden früheren Uhren schon angebracht war. Täglich zur Mittagsstunde kräht er dreimal und erinnert so an die Schuld des Jüngers, welcher dreimal seinen Herrn verleugnete. Die Kuppel, die das ganze Gebäude der Uhr krönt, ist ebenso merkwürdig durch den Geschmack ihrer Formen, als durch die Pracht ihrer Verzierungen. In dem Mittelpunkte dieses Domes erhebt sich die Statue des Propheten Jesaias, das Werk des berühmten Bildhauers Gras. Um den Propheten reihen sich die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, von den verschiedenen Tieren, die man ihnen als Attribute zuerkennt, begleitet. Etwas höher befinden sich vier Seraphim, welche auf verschiedenen Instrumenten das Lob Gottes preisen. Ganz oben endlich steht der Herolde der Steinmetzzunft des Münsters mit dem Wappen des Frauenhauses in der Hand.
Auf beiden Seiten des Türmchens, das die Gewichte enthält, sind mehrere Gemälde, welche von der alten Uhr herrühren. Das erste von oben herab ist Urania, diejenige der neun Musen, welche den mathematischen und astronomischen Wissenschaften vorsteht, sie ist unter den Zügen eines in himmelblauem Gewande und mit Sternen gekrönten Frauenzimmers vorgestellt, das in der einen Hand einen Globus, in der andern Hand einen Zirkel hält. Das zweite Gemälde ist der allegorische Koloss der vier Monarchien, von dem im 7. Kapitel des Propheten Daniel Meldung geschieht; man sieht ihn unter der Gestalt eines Kriegers mit Zepter und Krone. Endlich zeigt uns das dritte und letzte das Bildnis des Nik. Kopernikus. An den Nebenseiten des Türmchens bemerkt man ebenfalls einige Gemälde. Dem Chor gegenüber sind die 3 Parzen Clotho, Lachesis und Atropos, die den Lebensfaden spinnen und unbarmherzig abschneiden.
Zur Rechten des Zuschauers ist die schöne Wendeltreppe angebracht, die in die verschiedenen Stockwerke der Uhr und zugleich auf den kleinen Altan führt, von wo man das Äußere vollkommen betrachten und von der ganzen Höhe, welche nicht weniger als 20 Meter beträgt, beurteilen kann. Von diesem Altane gelangt man zu einer eisernen Treppe, die zum gotischen Zifferblatte führt, welches dem königl. Schlosse gegenüber angebracht ist. DieUhr teilt ihre Bewegungen diesem gegen den Frohnhof gerichteten und über dem südlichen Portale befindlichen Zifferblatte mit. Dasselbe hat 16 Meter im Umfange, ist mit gotischen Zierraten und einer steinernen Galerie versehen. Zwei in ebenfalls gotischem Stil verfertigte Zeiger sind bestimmt, der eine die Stunden mit ihren Unterabteilungen von 5 zu 5 Minuten in mittlerer Zeit, der andere die Tage der Woche, wie auch die Planetenzeichen, die einem jeden derselben entsprechen, anzudeuten.
Da die Orientierung des Münsters nicht genau nach den Weltgegenden bestimmt worden, so wurde es nötig, im Innern der Kirche, nahe an der Uhr, eine Mittagslinie zu errichten. Dieser an der Mauer angebrachte Meridian wird von den Sonnenstrahlen beleuchtet, welche durch den über der Eingangstür befestigten Gnomon eindringen, und auf solche Weise kann man zugleich den Gang der Uhr mit dem unregelmäßigen Gange der Sonne auf das Bequemste vergleichen, indem man in einem und demselben Augenblicke zugleich die durch die Räderwerke entstehenden Angaben der Mittagsstunde der scheinbaren Zeit mit der wahren Bewegung der Sonne sich anschaulich machen kann. Um die Vertiefungen zu benutzen, welche sich unweit der Mittagslinie in der Mauer befinden, hat man allda zwei Tafeln aufgestellt, wovon die eine in goldenen Buchstaben die Namen der Vorgesetzten enthält, unter deren Verwaltung die Uhr verfertigt worden. Die Inschrift lautet wie folgt:
Diese astronomische Uhr, verfertigt von Joh. Bapt. Schwilgué von Straßburg, gemäß dem Beschlusse des Munizipalrats von 7. September 1836, wurde vollendet unter den hochwürdigsten Herrn And. Näss, Bischofs dieses Sprengels, Herrn Ludwig Sers, Präfekten des Niederrheins, Herrn Friedrich Schützenberger, Maires von Straßburg und Deputierten. Herrn Peter Champy, Herrn Philipp L'Ange, Herrn Carl Börsch, Herrn Wilhelm Braunwald, (Adjunkten). Herrn Nicolaus Dogen, Erzpriester und Pfarrer am Münster. Herrn P. Detroyes, Einnehmer und Herrn G. Klotz, Baumeister des Frauenhauses.
Die feierliche Einweihung geschah bei Gelegenheit des Nachtfestes, das ihrem Urheber zu Ehren durch die Bürgerschaft am 31. Dezember 1842 gegeben wurde. Das Zentralwerk teilt die Bewegung allen übrigen Mechanismen mit, durch welche die verschiedenen Verrichtungen der Uhr hervorgebracht werden. Dieses für die ganze Uhr alleinige Hauptwerk, welches man, wie schon bemerkt worden, nur alle acht Tage einmal aufzieht, wird in Gang gesetzt durch einen astronomischen Regulator, dessen Ausführung das Gepräge der letzten Präzision trägt. Dieser Regulator, der die Sekunden schlägt, erhält seinen richtigen Gang vermittels eines Kompensationspendels und einer mit Edelsteinen versehenen Hemmung. Ungeachtet des geringen Gewichtes, das dem Zentralwerke die Bewegungskraft gibt, ist dasselbe überaus hinreichend, um noch verschiedene andere Bewegungen hervorzubringen, als nämlich: a) jene der Zeiger des Zifferblattes der mittleren Zeit; b) des großen gotischen Zifferblattes; c) des Planetariums; d) des Mondes für die Darstellung seiner Phasen; e) der sieben Figuren der Woche; f) der Zeiger des Zifferblattes der scheinbaren Zeit; g) der Sonnen- und Mondesäquationen; h) und endlich der Himmelskugel für die Angabe der Sternenzeit; i) es bewirkt überdies vermittels eines besonderen Mechanismus noch die Einstellung der Verrichtungen der vier Alter in der Nacht und die Fortsetzung derselben während des Tages.
Die fünf Räderwerke, welche bestimmt sind, die Bewegung der Automaten und der verschiedenen Schlagwerke hervorzubringen, hängen vermittels ebenso einfacher als künstlicher Transmissionen und Auslösungen gegenseitig voneinander ab. Wenn nämlich die Stunde schlagen soll, so löst das Zentralwerk das zweite Räderwerk aus, dies überträgt die Bewegung dem dritten, welches seinerseits, sobald die Viertel geschlagen sind, die Bewegung auf das zweite zurückbringt, um das Auf- und Abtreten der Automaten zu bewirken; sind diese Verrichtungen zu Ende, so teilt das Werk die Bewegung dem vierten mit, welches dann den Stundenschlag vollbringt. Überdies erhält jeden Mittag ein fünftes Werk, nämlich jenes der Apostel und des Hahnes seine direkte Übertragung von dem Stundenwerke. Alle diese verschiedenen Transmissionen von einem Werke auf das andere, sowie auch ihre Auslösung, geschehen ohne die geringste Unsicherheit und ohne das mindeste Geräusch. Endlich ist an diesem Uhrenbau kein einziges Stück von Holz oder einer andern sehr leicht zerstörbaren Materie angebracht worden, man hat dazu nur Metall verwendet, und zwar vom härtesten, zur Garantie der Dauer dieses Werkes. Diese Uhr, die Frucht ungeheurer und mühsamer Berechnungen, schwieriger Bearbeitung und unausgesetzter Nachforschungen, ist also keineswegs, wie manche irrig meinen, eine bloße Restauration, sie ist ein ganz neu verfertigtes, neuerfundenes Werk, welches mit der genausten Richtigkeit sogar die Sekunden angibt und einen Zeitlauf von mehr als 25,000 Jahren umfasst, den nämlich der rückgängigen Bewegung der Äquinoktialpunkte.
Weiterführende Informationen
- Beschreibung der ersten Straßburger Münster-Uhr
- Beschreibung der zweiten Straßburger Münster-Uhr
- Astronomische Uhr
- Astronomische Kunstuhr im Straßburger Münster
Literatur
- Lexikon der Uhrmacherkunst, Carl Schulte: Emil Hübners Verlag Bautzen 1902