Die Weitergabe des Feuers
Die Weitergabe des Feuers
Glashütte, April 2010
Junge Uhrmacher auf den Spuren von Ferdinand A. Lange
David Weber ist zufrieden. Er hat die Uhr des Kunden gereinigt, reguliert, die Spirale gelegt und gerichtet sowie alle Einstellungen überprüft. Er hat das Werk montiert und bei einem mehrtägigen Probelauf seine Ganggenauigkeit nochmals geprüft. Jetzt legt er die Uhr zurück in ihre Schatulle. Falls es notwendig gewesen wäre, hätte er auch die anglierten Kanten geschliffen und Polituren erneuert. Ausgebildet dafür ist er. Im Jahr 2008 hat er mit Bravour die Abschlussprüfungen an der Lange’schen Uhrmacherschule gemeistert.
Seit 1997 gibt es die Lange-Uhrmacherschule, 66 Absolventen hat sie seitdem hervorgebracht, und dass von den derzeit 31 Schülern 70 Prozent Frauen sind, „ist weniger der Emanzipation denn dem Zufall geschuldet“, weiß Katja König. Sie leitet die Uhrmacherschule seit 2004. „Wir suchen nicht nach dem Geschlecht aus“, erklärt die 34jährige. „Einmal im Jahr laden wir die interessantesten Lehrstellenbewerber zu einem Auswahlverfahren in unsere Manufaktur ein. Sie müssen dann beweisen, dass sie handwerkliches Geschick haben, indem sie feilen, ein Werkstück nach einer Zeichnung aussägen und eine Uhrenbaugruppe ohne Anleitung montieren.“ Dabei geht es vor allem darum zu erkennen, wie viel handwerkliches Geschick, Geduld und technisches Verständnis ein Bewerber hat. „Und wir sprechen mit den Bewerbern über ihre Motivation, wie sie sich selbst einschätzen, sich ihre Zukunft vorstellen“, so Katja König.
Für Jan Helbig war es die perfekte Ausbildung. Nach mehreren Stationen in der Manufaktur montierte er Chronographenwerke für den DOUBLE SPLIT und anschließend die LANGE 31. Für ihn eine spannende Komplikation, „weil sie als erste Uhr für 31 Tage eine zuverlässige Gangreserve garantiert. Die Montageanleitung für diese Uhr habe ich zusammen mit einem Kollegen aus dem Prototypenbau ausgearbeitet, der mich mehrere Monate lang geschult hat.“ Antworten musste er oft selbst finden. Seit einigen Tagen liegen auf seinem Uhrmachertisch die Einzelteile eines TOURBOGRAPH „Pour le Mérite“. Der 24jährige ist stolz darauf, nun die bisher komplizierteste Lange-Uhr montieren zu dürfen.
Auch am Anfang stand Lernen: Als der junge Ferdinand Adolph Lange am 7. Dezember 1845 in Glashütte seine Uhrenmanufaktur gründete, bildete er zuerst 15 Jugendliche aus. Er brachte ihnen alle grundlegenden Fertigkeiten bei, nutzte ihre Talente und hielt sie an, sich zu spezialisieren. Nur so war es möglich, die Qualität und Präzision seiner Taschenuhren zu steigern. Einige seiner Lehrlinge gründeten später eigene Werkstätten, in denen sie Triebe, Federhäuser oder Zeiger herstellten.
Der Grundstein für das Zentrum der deutschen Feinuhrmacherei war gelegt. Später führte Lange das metrische System in die Uhrmacherei ein und stattete Drehstühle mit einem fußbetätigten Schwungrad aus – Uhrwerksteile konnten so einfacher berechnet, Bauteile präziser gefertigt werden. Hätte er nur „die Asche bewahren“ wollen, wäre er vielleicht königlich-sächsischer Hofuhrmacher geworden. Nachfolger seines Schwiegervaters Johann Friedrich Gutkaes. Ein privilegiertes Leben mit Wohnung im Turm des Dresdner Residenzschlosses. Er entschied sich dafür, „das Feuer weiter zu geben“ und neue Wege zu gehen.
Wie sein Urenkel Walter Lange. Auf den Tag genau 145 Jahre nach der Gründung der ersten Manufaktur setzte er das Erbe seiner Vorfahren fort. Ein Neubeginn! Da waren David Weber und Jan Helbig fünf Jahre alt. Heute stehen sie in der Lange’schen Tradition. Und schüren das Feuer. Dabei trägt Jan Helbig immer noch keine Uhr. „Mich fasziniert an Uhren die technische Herausforderung“, sagt er. Was nicht verwundert. Seine erste Erinnerung an eine Uhr ist der grüne Wecker auf dem Nachttisch seiner Oma. „Ich war vielleicht sieben Jahre alt. Der Wecker war nicht aufgezogen, weil sein Ticken so laut war. Er stand da nur zur Dekoration.“ Das hat ihn schon damals gestört.
Für David Weber gab es Uhren von Anfang an. Sein Vater ist Uhrmacher. Serviceuhrmacher, für Lange in Hongkong. „Ich bin also mit dem Thema vertraut“, sagt er, „seit ich denken kann“. Auch für ihn war der Auslöser eine kaputte Uhr: „Eine digitale Uhr aus der Spielzeugkiste meiner Schwester“ erzählt er. „Es war mir egal, dass sie nicht mehr ging. Ich glaube, ich habe sie fast ein Jahr lang heimlich getragen.“ Seine erste eigene Uhr hat er sich bei einem Schüleraustausch in Dänemark vor drei Jahren selber gefertigt. Aber bis dahin war es ein weiter Weg.
Ausschlaggebend für die Bewerbung bei Lange war für David Weber ein Sommerurlaub in Deutschland. „Damals sind wir auch nach Glashütte gefahren und haben die Manufaktur besucht. Und ich habe endlich den Ort kennengelernt, wo die Zeitmesser hergestellt werden, die mein Vater in seiner Service-Werkstatt in Hongkong reinigt und repariert.“ Leicht war der Start in Glashütte nicht: „Ich musste mir einen komplett neuen Freundeskreis aufbauen. Das Internationale der Metropole und die englische Sprache fehlten mir manchmal schon sehr.“ Drei Jahre wurde er im dualen System ausgebildet: Dabei finden abwechselnd Theorieunterricht in der örtlichen Berufsschule und Praxiswochen in der Lange-Manufaktur statt.
Es hat sich gelohnt für David Weber. Er ist froh, dass er einen praktischen Beruf gelernt hat: „Handwerk statt Maschinen – das ist für unsere Kunden wichtig und definiert meine Leidenschaft für den Beruf des Uhrmachers. Ich finde es schön, langlebige Produkte anzufertigen, die noch in vielen Jahrzehnten etwas wert sind.“ Und er fühlt sich mittlerweile in Glashütte wohl. „Der kurze Arbeitsweg – ich schaue von meiner Wohnung aus auf das Lange-Stammhaus. Die Tradition, die hier wirklich gelebt wird. Und das familiäre Miteinander der Kollegen. Mir ist Teamarbeit sehr wichtig“, betont er. Aber wo ginge er hin, wenn Lange ihm anbieten würde, für einige Jahre ins Ausland zu gehen? „Hongkong“, sagt er ohne zu zögern. „Ich schätze diese Stadt als einen Ort, an dem viele verschiedene Nationen friedlich miteinander in Einklang leben.“
Seit Januar 2010 hat die Lange’sche Uhrmacherschule wieder ein eigenes Gebäude: die im Jahr 2006 grundlegend sanierte und bislang als Bürogebäude genutzte ehemalige Schule in Bärenstein, knapp zehn Kilometer von Glashütte entfernt. Die zur Verfügung stehende Fläche wurde von 250 auf 600 Quadratmeter erweitert. Und bietet so die Möglichkeit, Kooperationen mit internationalen Uhrmacherschulen auszubauen und jungen Uhrmachern aus dem Ausland Praktikumsplätze anzubieten. Denn das ist es, was Katja König neben den handwerklichen Fähigkeiten vermitteln möchte: „Spaß an der Teamarbeit, Toleranz und einen Sinn für Internationalität.“